Statement zum 1. Mai 2023 in Hamburg
Für uns als Wer Hat Der Gibt war die „Klassensturz statt Kassensturz“ Demonstration am 1. Mai alles in allem ein großer Erfolg: Gemeinsam mit knapp 4000 Leuten haben wir uns die Straßen Eppendorfs und Harvestehudes genommen, um unsere Forderung nach der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums gemeinsam in die noblen Villenviertel zu tragen – dorthin, wo sie hingehören!
Denn für uns ist klar: Wir sitzen längst nicht alle im selben Boot. Während wir mit Reallohn-Senkungen und steigenden Lebenshaltungskosten kämpfen, schütten Konzerne und Unternehmen Rekorddividenden an ihre Aktionär*innen aus. Diese Ungerechtkeit haben Sprecher*innen aus vielfältigen Perspektiven in ihren Redebeiträgen addressiert: von Amazon-Arbeiter*innen, Klima- und feministischen Aktivist*innen, Basis-Gewerkschaftler*innen, Vertreter*innen der Linken, Künstler*innen und vielen mehr. Unsere Demonstration war der kämpferische, entschlossenene Ausdruck eines vielfältigen Protests aus einem breiten linkspolitischen Spektrum.
Doch neben all den positiven Momenten an diesem Tag bleiben auch erschütternde Erinnerungen. Es macht uns fassungslos und wütend, dass die Demonstrationen zum 01. Mai auch in diesem Jahr bereits im Vorfeld verunglimpft wurden. Erneut müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Polizei bei sämtlichen linken Demonstrationen, wie auch bei der unseren, an jeder Ecke Gefährdungspotenziale erkennen will. Ein solches ist bei unseren Demonstrationen erwiesenermaßen weder erwünscht noch existent, weshalb wir diese Behauptung deutlich zurückweisen.
Erzählungen wie diese bleiben ein billiger Versuch, legalen und legitimen Protest zu diffamieren. So ist beispielsweise die Begleitung unserer Demonstration durch ein Großaufgebot der Polizei eine absolute Frechheit. Wenn an der Spitze einer Demonstration eine Hundertschaft „mitdemonstriert“, führt das zu nichts als einer Stigmatisierung sozialen Protests. Mit Blick auf Wasserwerfer in mehreren Seitenstraßen, einem Räumpanzer und ständiger Helikopter-Begleitung wird dieser Eindruck verstärkt – das ist nichts anderes als eine unnötige Machtdemonstration der Polizei. Für Menschen, die häufiger auf Demonstrationen unterwegs sind, mag dieses Gebaren zwar vielleicht nichts Neues sein. Jedoch bleibt der fade Beigeschmack, dass die Polizei so ihren gigantischen wie kostspieligen Apparat ganz einfach selbst legitimieren will. Uns würde interessieren, wer diese Verschwendung von Steuermitteln zu verantworten hat. (Wo bleiben bei solchen Fragen eigentlich die Marktschreier*innen dieser liberalen Traditionspartei, die neben Privilegien für Reiche auch irgendwann mal für Bürgerechte und gegen Steuerverschwendung standen 😉 )
Der Gipfel war dann, als die Polizei unsere Demonstration knapp eine Stunde aufhielt und beim Weiterlaufen störte – wegen ein paar wenigen Personen, die Schals und Tücher angelegt hatten. Diese gehören für manche Teilnehmende nicht nur zum Ausdruck ihrer Demonstrationskultur, sondern schützen auch davor, wenn die Polizei Teilnehmende zur versuchten Einschränkung der Demonstrationsfreiheit anlasslos filmt. Wir lehnen diese Einschränkung der Demonstationsfreiheit entschieden ab. Zu keinem Zeitpunkt und in keinem Teil des Demonstrationszuges bestand eine Fremdverletzungsgefahr.
Egal, wie man es dreht und wendet: Mehrere hundert Polizisten haben den Antifa-Jugendblock umstellt und gegängelt. Das ist absolut unverhältnismäßig. Und doch treibt das willkürlich ausgesprochene, allgemeine Trageverbot von FFP2-Masken im Antifa-Jugendblock das Vorgehen noch einmal auf die Spitze: Störte und stoppte die Polizei den Ablauf angemeldeter Demonstrationen noch vor Kurzem wegen ein paar weniger Personen ohne Mund-Nasen-Schutz, tut sie dies nun, wenn Teilnehmende Schutzmasken tragen. Es ist absurd, dass die Polizei Demonstrierenden verbieten will, ihre individuelle Gesundheit zu schützen.
Das gesamte Vorgehen von Seiten der Polizei wirkte auf uns sehr kalkuliert. Hatte uns der Polizeieinsatzleiter in der Verhandlung vor Ort noch zugesichert, dass wir weitergehen könnten, zog sein Vorgesetzer dieses Versprechen jedoch mit Verweis auf die FFP2-Masken zurück und verzögerte ein Weiterlaufen der Demonstration damit noch weiter. Erst, als sich die Demonstrierenden des Antifa-Jugendblocks bereit erklärten, den Block aufzulösen und sich in einzelnen Kleingruppen auf die anderen Blöcke des Demonstrationszuges aufzuteilen, durfte die Demonstration schließlich fortgeführt werden.
Wir sind uns sicher, dass die Polizei ganz genau gewusst hatte, dass der Lautsprecherwagen auf unserer Demonstration direkt im Anschluss weiter ziehen sollte und auf der anarchistischen Demonstration erwartet wurde. Der Verdacht wiegt schwer, dass die Polizei die anarchistische Demonstration damit bewusst sabotieren wollte – dass sie am Ende dann gar nicht laufen konnte, ist einen Skandal! Wir stehen hinter dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Recht auf Demonstrationsfreiheit auch für anarchistische Positionen – am 1. Mai wie auch an jedem anderen Tag. Bei uns bleibt der bittere Eindruck, dass die Einzigen, die Bock auf Krawall hatten, unsere blau uniformierten „Freund*innen und Helfer*innen“ waren.
Wir wünschen den Verletzten gute Besserung und schicken unsere Solidarität an den Schwarz-Roten 1. Mai. Außerdem fordern wir eine lückenlose Aufklärung über die Polizeieinsätze am 01. Mai, ein Überdenken der polizeilichen Taktik und eine kritische Auseinandersetzung damit in der Presse!